Der Mai stand ja so was von im Zeichen Europas, im Zeichen der Wahl. Und so eine Wahl will ja gut vorbereitet sein! Aber egal, wie früh mein Traummann und ich anfangen, uns mit den Bewerbern auseinanderzusetzen: Es läuft immer auf den letzten Abend hinaus. Da laden wir dann Menschen ein, mit denen wir diskutieren. Nicht selten ist die Stimmung ein wenig gereizt, wenn die Diskussion allzu unsachlich wird. Wenn zum Beispiel der Nachbar sich offensichtlich nur deshalb für eine Kandidatin ausspricht, weil ihr Kleid ein zugegebenermaßen atemberaubendes, aber viel zu tiefes Dekolletee hat. Und dann ist es einfach oft zu laut in unserem Wohnzimmer! Wenn jeder auf dem Sofa ständig unaufgefordert seinen Senf dazugibt – irgendwann kriegst du nichts mehr mit. Und das ist ja nun schon wichtig, dass man die Performances mitkriegt. Wie willst du dich denn am Ende für einen Kandidaten entscheiden, wenn du von seinem Auftritt nichts mitbekommst. Weil meine Sitznachbarin auf der linken Seite laut den Refrain mitsingt, rechts von mir um Rotweinnachschub gebeten wird und Rainer alle paar Sekunden lauthals um Ruhe bittet.
Was man ja auch sagen muss, mit zunehmendem Alkoholspiegel gerät die Stimmung nicht gerade in ruhigere Fahrwasser. Wo es dann aber richtig blöde wird, und da werde ich dann auch, obwohl ich Gastgeberin bin. Gut, wenn man sein eigenes Wort nicht mehr versteht, scheiß drauf. Aber wenn ich die Kommentare von dem Peter Urban nicht mehr höre, dann reißt auch mir der Geduldsfaden. Apropos verstehen. Was ich nach wie vor nicht verstehe, wo genau in Europa liegt Australien? Und apropos Europa, hätte ich fast vergessen, neben dem ESC gab’s ja auch noch die Europawahl!
Wo ich gerade bei Wahlen bin: Was habe ich da für eine gute Wahl mit dem Moritz Netenjakob getroffen! Der war am Samstagabend vor der Europawahl in meinem Kulturraum und moderierte dort die “Berliner Runde” 2021: Oliver Pocher ist neuer CDU-Vorsitzender, Kevin Großkreutz wird Außenminister und Lukas Podolski Bundeskanzler. Und alle waren sie live auf der Bühne, in meinem Kulturraum Auerberg! Was für ein begnadeter Stimmenimitator, der Moritz! Dieter Hallervorden war seine erste Imitationsrolle, in die er als Schüler schlüpfte. Mit “Palim Palim” war sein Flirtfaktor allerdings nicht wirklich hoch. Sein “Independence Day” in Deutschland: Udo Lindenberg, Peter Maffay, Herbert Grönemeyer und Jan Delay sitzen im Hotel Atlantic in Hamburg und kommentieren die Ereignisse. Hatte ich schon erwähnt, wie unfassbar toll er die Stimmen imitiert? Auch den Reiner Calmund (“da hab ich auch schon mit dem Rudi Völler drüber gesprochen”) und den Fußballreporter Gerd Rubenbauer (“rotzfrech”). Und als Fußballreporter interpretiert er für seine kleine Tochter das Märchen Hänsel und Gretel als Gutenachtgeschichte – die danach aber so was von garantiert nicht schlafen kann, die Tochter, – ob der rotzfrechen Alten!
Und dann sind da noch die Top Ten seiner skurrilsten Tourerlebnisse. In Berlin trat er im Theater der Wühlmäuse auf und imitierte Dieter Hallervorden (eine Flasche Pommes frites), der am Bühnenrand stand. Im Schmidt Theater auf der Reeperbahn in der Mitternachtsshow wurde er als Moritz Netanjahu angekündigt. Oder der Auftritt bei “Ottis Schlachthof”. Dort kündigte Ottmar Fischer ihn statt “Debütant des Jahres” als “Dilettant der Jahres” an.
Unfassbar, wie viel Witziges der raushaut, der Moritz. So schnell kann ich nicht zuhören, wie der spricht. Wie kam noch mal die Sprache auf den Speisefehler in der Sprachkarte und das Lammgeröll mit Möse? Und was hatte es mit dem ausgestopften Eichhörnchen seiner Schwiegermutter auf sich? War das in Korkheim an der Plörre, in dem Café?
Ich hab’ keine Wahl: Ich muss noch mal zu einem seiner nächsten Auftritte.